(Cyber-)Mobbingprävention als Schulentwicklungsaufgabe
Das Wohlbefinden in der Schule und damit die Ermöglichung nachhaltiger Bildungsprozesse wird wesentlich vom Klassen- und Schulklima und der Beziehung aller Beteiligten zueinander geprägt. Gewalt- und (Cyber-)Mobbingprävention ist Grundvoraussetzung eines Lernraumes Schule, an dem ohne Angst gelebt und gelernt werden kann. Das Ziel ist die Förderung ganzheitlicher Gesundheit – im Sinne des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens (vgl. Verfassung der WHO) –, um einen Beitrag zu einer förderlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu leisten.
Mobbing beeinträchtigt dieses Wohlbefinden, die soziale und emotionale Entwicklung und die Beziehungsqualität aller Beteiligten. Mobbing verhindert das Entstehen bzw. Fortbestehen eines förderlichen Lernklimas und führt in vielen Fällen zum Schulabbruch. Evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen können nachweislich zur Reduktion von Mobbing, zur Förderung von Gesundheit und zur Steigerung der Schulleistungen beitragen (nach einer Metastudie von Ttofi & Farrington, 2011; vgl. Wachs, Hess, Scheithauer & Schubarth, 2016, S. 159; vgl. auch Downes & Cefai, 2016, S. 33).
Gute Grundlagen für Schulentwicklung
Aus den Ergebnissen der internationalen HBSC (Health Behaviour in School-aged Children)-Studie ist bekannt, dass Mobbing in österreichischen Schulen ein besonders großes Problem war und ist (vgl. Felder-Puig et al., 2014, 2018). Dank zahlreicher Bemühungen der Schulen, Schulbehörden und anderer Institutionen im Rahmen der Nationalen Strategie schulischer Gewaltprävention und darüber hinaus wurden an vielen Schulen erfolgreich präventive Maßnahmen eingeleitet. Es ist von besonderer Bedeutung, auf dieser Grundlage nachhaltige, angepasste Programme zur Prävention von (Cyber-) Mobbing durch spezifische Schulentwicklungsprozesse an den jeweiligen Schulstandorten umzusetzen.
Neue Formen von Mobbing
Die zunehmende Digitalisierung und die sozialen Netzwerke schaffen eine neue Austragungsformen von Mobbing: Cybermobbing ist eine besonders intensive Form von Kränkung und Verletzung. Es beschränkt sich nicht auf Mobbinghandlungen innerhalb der Schule, sondern verfolgt die betroffenen Kinder und Jugendlichen bis in ihr Zuhause. Aus den Schulen wird berichtet, dass Cybermobbing in den letzten Jahren an Brisanz gewonnen hat. Bedeutsam ist, dass Cybermobbing in den seltensten Fällen vom direkten sozialen Umfeld (Klasse, Schule etc.) abgegrenzt werden kann – Cybermobbing ist ein zusätzlicher Schauplatz für Mobbingformen in Präsenz. Daher ist es umso bedeutsamer, in schulspezifische Präventionsprogramme zu investieren, die dieser Entwicklung Rechnung tragen.
Im NESET II Report „How to Prevent and Tackle Bullying and School Violence“ werden evidenzbasierte Schlüsselfaktoren für zielgerichtete Präventionsarbeit identifiziert. Neben systemischen Faktoren sind insbesondere soziale und emotionale Kompetenzen von Bedeutung, die auf die Beziehungsgestaltung und das Klassen- bzw. Schulklima wirken. Zentrale Elemente evidenzbasierter und nachweislich wirksamer Programme sind koordinierte Maßnahmen auf personenbezogener, sozialer bzw. klassenbezogener und struktureller Ebene. (vgl. S.37)
Kein Platz für Angst und Gewalt an der Schule
Eine Schule muss ein sicherer Ort sein, wo erfolgreiches Lernen und Lehren möglich ist und Angst und Gewalt keinen Platz haben. Die ungeteilte Anerkennung von Differenz und Vielfalt ist Basis pädagogisch fruchtbarer Beziehungen und Voraussetzung für die Aneignung von Bildung. An einem Schulstandort tragen alle Schulpartner:innen zu einem leistungsförderlichen Klassen- und Schulklima bei und somit auch zur Senkung der Drop-out-Rate. In der Prävention gilt es, eine Grundhaltung von Null-Toleranz bei Gewalt herzustellen, Wissen über die Dynamiken von Mobbingprozessen zu erweitern, Grenzen zu setzen und einzufordern, Verantwortlichkeiten klar zu kommunizieren, Vereinbarungen zu treffen, Schüler:innen sowie Pädagoginnen und Pädagogen konsequent zu unterstützen und Eltern/ Erziehungsberechtigte miteinzubeziehen. Der Fokus liegt auf personenbezogenen und systemischen Faktoren. In der Intervention braucht es gut kommunizierte, klare Vorgangsweisen zur Beurteilung der Vorkommnisse und transparente Eskalationsstufen. Darüber hinaus benötigt die Intervention eine Begleitung durch ein multiprofessionelles Team, das von einem Case Manager koordiniert wird. Es geht um Opferschutz und Handlungssicherheit im schulischen Alltag (vgl. Wallner, 2018).
Nachhaltige und effiziente Gewalt- und Mobbingprävention sowie Mobbingintervention bedürfen eines zielgerichteten, auf den Schulstandort abgestimmten Schulentwicklungsprozesses unter Berücksichtigung von professioneller Weiterentwicklung, Unterrichts- und Organisationsentwicklung.
Nutzen für die Schulen
„Mobbingprävention als Schulentwicklungsaufgabe bedeutet, Gelingensbedingungen von Bildungserwerb in einem angst- und gewaltfreien institutionellen Rahmen zu schaffen. Dies bedarf systemischer Schulentwicklung und umfasst Unterrichtsentwicklung, Professionsentwicklung und Organisationsentwicklung. Auf allen Ebenen gilt es, Persönlichkeitsstärkung und soziale Kompetenz zu fördern.“
Dass mit einem derartigen Ansatz Gewalt- und Mobbingprävention gelingt und gleichzeitig Bildungserwerb ermöglicht wird, zeigt die NESET II Studie „Structural Indicators for Inclusive Systems in and around Schools“: „Research shows that the well-being of schoolchildren plays a decisive role in their scholastic success. Accordingly, a school has to provide an environment that nurtures the well-being of its students.” (Downes et al., 2017, S.16)
Der Fokus liegt auf der Integration präventiver Konzepte, Modelle und Techniken in den Unterrichtsalltag und damit auf der Stärkung der professionellen Arbeit von Lehrpersonen im Sinne ihrer fachinhaltlichen und beziehungsgestaltenden Aufgaben. Es wird auf Vorhandenem aufgebaut. Prävention wird in die tägliche Unterrichtsarbeit eingebettet und als Bestandteil unterrichtender bzw. pädagogischer Arbeit verstanden. Vorbildwirkung, die Übernahme von Verantwortung und der Aufbau kooperativer Strukturen sind wesentliche Elemente.
Die professionelle Gestaltung von Beziehungen zum Aufbau eines (lern-)förderlichen Schul- und Klassenklimas wirkt über das individuelle Wohlbefinden, die Möglichkeit sich einzubringen und viele weitere Teilaspekte auch deutlich auf die Ermöglichung schulischen Lernerfolgs. Evidenzbasierte gewaltpräventive Maßnahmen, die in dem Projekt zum Einsatz kommen können, dienen auch der Förderung der psychosozialen Gesundheit (vgl. OECD, 2018, S. 9).
Die im Projekt geförderte Vorgehensweise ist einem indirekten Präventionsmodell zuzuordnen. Ziel ist es, die Beziehungsqualität zu stärken, klare Haltungen vorzuleben, Regeln und Vereinbarungen zu treffen – und damit ein Klassen- und Schulmanagement zu ermöglichen, das auf Rahmenbedingungen, die die Beteiligten stärken, basiert. All das wirkt lernförderlich und mobbingpräventiv in sozialen Strukturen und fördert die psychosoziale Gesundheit.
Auf dem Weg zu einer evidenzbasierten, standortspezifischen Strategie zur nachhaltigen Förderung der psychosozialen Gesundheit und der Prävention von (Cyber-)Mobbing erhalten die am Projekt teilnehmenden Schulen professionelle inhaltliche sowie prozessuale Begleitung durch Expertinnen und Experten.
Quellen und weiterführende Literatur
Alsaker, F. D. (2017). Mutig gegen Mobbing in Kindergarten und Schule. 2., unv. Aufl. Bern: Hogrefe Verlag.
BMBWF (Hrsg.) (2018). Mobbing an Schulen. Ein Leitfaden für die Schulgemeinschaft im Umgang mit Mobbing.
Cefai, C., Bartolo P. A., Cavioni. V, Downes, P., (2018). Strengthening Social and Emotional Education as a core curricular area across the EU. A review of the international evidence, NESET II report, Luxembourg: Publications Office of the European Union, 2018. doi: 10.2766/664439
Downes, P. & Cefai, C. (2016). How to Prevent and Tackle Bullying and School Violence: Evidence and Practices for Strategies for Inclusive and Safe Schools, NESET II report, Luxembourg: Publications Office of the European Union, 2016. doi: 10.2766/0799.
Downes, P., Nairz-Wirth, E., Rusinaitė, V. (2017). Structural Indicators for Inclusive Systems in and around Schools, NESET II report, Luxembourg: Publications Office of the European Union, 2017. Doi: 10.2766/200506.
ePOP (2014). Eine Materialiensammlung zur Förderung von Selbst- und Sozialkompetenz. Herausgeber: Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen (ÖZEPS). Wien, Linz.
Farrington, D. & Ttofi, M. (2011). Bullying as a predictor of offending, violence and later life outcomes.
In Criminal Behaviour and Mental Health, 21(2), 90–98.
Felder-Puig, R. et al. (2014, 2018). Österreichische HBSC Ergebnisse im internationalen Vergleich. Factsheets zu den HBSC-Erhebungen 2010 und 2014. Wien: BMG und BMASGK.
Felder-Puig, R. et al. (2018). Gewalttaten an österreichischen Schulen. Prävalenzen, Entwicklungen, Ursachen und benötigte Unterstützungsleistungen. Wien: IfGP.
Hofmann, F. (2008). Persönlichkeitsstärkung und soziales Lernen im Unterricht. Wien: Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen (ÖZEPS).
Jannan, M. (2009). Das Anti-Mobbing-Elternheft. Schüler als Mobbing-Opfer – Was Ihrem Kind wirklich hilft. 2. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
Jannan, M. (2010). Das Anti-Mobbing-Buch. Gewalt an der Schule – vorbeugen, erkennen, handeln. 3. Aufl. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
Leimer, Ch. (2011). Vereinbarungskultur an Schulen. Wien: Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen (ÖZEPS).
ÖZEPS (2018). ÖZEPS cinema edu „Mobbing?“ – mit begleitendem Booklet. Herausgeber: Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen (ÖZEPS). Wien
Olweus, D. (2006). Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können. 4. Aufl. Bern: Huber.
Schubarth, W. (2013). Gewalt und Mobbing an Schulen: Möglichkeiten der Prävention und Intervention. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
Wachs, S., Hess. M., Scheithauer, H. & Schubarth, W. (2016). Mobbing an Schulen. Erkennen – Handeln – Vorbeugen. 1. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
Wallner, F., u.a. (2018). Mobbingprävention im Lebensraum Schule. Wien: Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen (ÖZEPS).
OECD-Studie (2018): Erfolgsfaktor Resilienz; Warum manche Jugendliche trotz schwieriger Startbedingungen in der Schule erfolgreich sind – und wie Schulerfolg auch bei allen anderen Schülerinnen und Schülern gefördert werden kann. Pisa-Sonderauswertung der OECD. Vodafone Stiftung Deutschland
WHO-HBSC Study (2012): Social determinants of health and well-beeing among young people